Brief 4 - geschrieben am 6. Februar 2004

Do Not Act! (Teil 1)

Moinsen zusammen,

ich bin’s mal wieder. Der job macht Spaß, ich habe Bewegung und Luft, und er hält mich finanziell über Wasser. Wenn mir die Behörde auch noch endlich meine Nummernschilder für mein Auto zugesandt hat, kann ich wohl auch in eine Wohnung umziehen, die weniger Kakerlaken hat ###< ###< ###< ###< ###< ###< >### ###< .

Aber mal Ernst beiseite, es wird endlich Zeit von Schauspielerei zu berichten. Ich habe jetzt das erste Quartal hinter mir. Aber ich fange lieber von vorne an, also:

Es fing damit an, dass sich meine Mami und mein Papi ganz doll liebhatten..........ZEITSPRUNG..... und da war ich auf einmal 26 Jahre alt und mir wurde schmerzlich gewahr, dass ich von dem ganzen, großen Leben da draußen überhaupt keine Ahnung hatte. Das ist ja als solches nicht weiter schlimm, und jeder geistig gesunde Mensch hätte diese Erkenntnis auf den Stapel mit den Rechnungen und Mahnungen gelegt und zum x-ten Mal den Vorsatz gefasst, was dagegen zu tun. Vielleicht sollte man aber erstmal seine Neujahrsvorsätze halten, das wäre doch schon mal ein Anfang. Man muss ja nicht immer versuchen, alles auf einmal zu schaffen. Kleine Schritte führen auch zu Ziel. Und außerdem ist Neujahr noch so schön weit weg, bis dahin kann man es ja wieder vergessen haben. Und wenn man mich dann am 1. Januar wieder erinnern sollte, kann man es ja auf die Liste der Neujahrsvorsätze fürs nächste Jahr packen. So sollte es sein, das Leben geht seinen gewohnten Gang, und alles ist gut.

Doch es kam anders, und das allein ist der Grund, dass ich jetzt eine Geschichte zu erzählen habe. Zum Zeitpunkt als der letzte Pfennig des sprichwörtlichen Groschens endlich gefallen war, fand ich mich in folgender Situation: Ich hatte zuwenig Arbeit, und, aufgrund der Abfindung, zuviel Geld. Das an sich ist auch noch nicht weiter schlimm. Aber gepaart mit einem frisch entdeckten Lebensdurst und keinen großartigen familiären Verpflichtungen ist es eine gefährliche Mischung. Und der Verdauungsprozess für diese Mischung sehr komplex, und da sich die Leber hier komplett weigert, auszuhelfen, kommt es zur Gärung, wenn man sie zu lange in seinen Eingeweiden mit sich herumträgt. So kam es, dass mir das Gebräu zu Kopfe stieg, und ich einen kleinen Traum, den ich schon vor langer Zeit als zu unsicher und zu unrealistisch zu den Akten gelegt hatte, plötzlich als eine gute Idee empfand. Es erschien machbar, nun ja, zumindest überlebbar. Und ganz egal, was passieren würde, es würde interessant und neu sein. Und das war es, was ich jetzt vom Leben wollte.

Ich fange also an, aller Welt von meinem Entschluss zu berichten und finde erstaunlicherweise fast überall Zuspruch und Unterstützung. Michi, ein Arbeitskollege, hat, wie sich herausstellt, einen Bruder (Alex), der vor ein paar Jahren das gleiche versucht hat. Er stellt uns einander vor und ich bekomme einen Schatz an Informationen, Tipps und Erklärungen. Alex empfiehlt mich sogar seinem früheren Arbeitgeber, was sich später als Rettungsanker erweisen sollte (s. vorherige Mail). Er erklärt mir auch die verschiedenen Schauspielschulen und deren Philosophien und hilft mir die richtigen Webseiten zu finden. Hier noch einmal Danke dafür. Ohne deine Vorbereitungen wäre ich hier ziemlich aufgeschmissen.

Prinzipiell basiert die Philosophie jeder Schauspielschule hier auf den Lehren eines gewissen Constantin Stanislavski, den ersten Menschen der eine umfassende Theorie zur Schauspielerei entwickelt hat, die oftmals einfach nur DIE METHODE genannt wird. Allerdings liegt der Fokus der verschiedenen Schulen auf verschiedenen Aspekten der "Methode". Ich mache mich also auf die Suche nach einer Schauspielschule, die mir zusagt. Es fallen drei, nein zwei in die engere Auswahl: Stella Adler (die Schule hat Weltruf, hier hat auch Alex studiert) und Theatre Group Studio (eher klein, aber fein). Stella Adler stellt ein Vollzeitstudium dar, es gibt Kurse für jeden einzelnen Aspekt der Kunst, wie Bewegung, Stimme, Akzent, Tanz , Gesang, Fechten, und, und, und.... Kurz gesagt alles, was man als Schauspieler für Handwerkszeug braucht. Die Webseite von Theatre Group Studio ist nicht ganz so ausführlich, also beschließe ich, beide Schulen anzurufen und meine Fragen zu stellen; Bei Stella Adler wollen sie nur meinen Namen und meine Adresse, dann schicken sie mir ihren Prospekt zu. Schön und gut. Bei TGS bekam ich direkt die Lehrerin und Direktorin, Lorinne Vozoff, ans Rohr. Das erste, was sie tat, war mich zu warnen: "Wenn du nach Geld, oder Ruhm suchst bist du hier falsch. Wenn es dir aber an der Schauspielerei an sich liegt, man kann sich mit Bühnenstücken gerade so über Wasser halten." Nachdem ich erklärt hatte, dass ich mehr auf der Suche nach dem Neuen und dem Unbekannten und nach neuen Fragen war, schien sie ein wenig milder. Sie warnte aber trotzdem weiter: "Hast du dir schon andere Schauspielschulen angesehen?" "Ja, z.B. Das Lee Strasberg Institute und Stella Adler" "Beides eine gute Wahl. Strasberg fokussiert sehr auf Erfahrungen und Stella Adler auf Vorstellungskraft. Und obwohl ich auf alle Aspekte der Methode Wert lege, liegt mein Schwerpunkt wohl bei der Interaktion der Schauspieler untereinander. Du bist dir bewusst, dass ein Kurs hier nur eine Sitzung pro Woche beinhaltet?" "Nein" "Lass dir gesagt sein, du wirst die Woche brauchen, um zu verarbeiten, was du erfahren hast. Du wirst sehr tief in dir herumwühlen, und einiges von dem, was zu Tage tritt, wird dir nicht gefallen. Du WIRST dich kennen lernen. MÜSSEN. Du wirst dich nicht drücken können. Wir lassen maximal 12 Leute pro Kurs zu, damit jeder seine Chance bekommt. Willst du dich immer noch um einen Platz bewerben?"


Sie konnte nicht ahnen, dass sie mir gerade das Blaue vom Himmel versprochen hatte. Vorausgesetzt, sie konnte ihr versprechen halten, war es genau das, was ich suchte. Und falls nicht, könnte ich immer noch zu einer anderen Schule wechseln. So fiel mein Entschluss. Und ich wurde Aufgenommen.

Eine Sitzung ist drei Stunden lang und in zwei Teile unterteilt, dazwischen ca. 15 min Pause. Wir sitzen in einem kleinen Auditorium mit einer kleinen Bühne. Das Publikum (also der Rest der Klasse) hat zu schweigen und von Kommentaren abzusehen. Nur in der Pause dürfen sie sich austauschen. Handys und zu spät kommen sind Todsünden. Inzwischen habe ich mehrmals erfahren warum: Auf der Bühne geht ein sehr filigraner Prozess vor sich, und die kleinste Unterbrechung kann diesen zerstören. Das sind die einzigen Momente in denen ich unsere Lehrerin wütend erlebt habe. Ansonsten gibt sie sehr ruhig Erklärungen und stellt Fragen. Alleiniges Ziel des ersten Quartals ist es, jeden Schüler mindestens einmal eine ehrliche Emotion aus der Bühne haben zu lassen. Sie bezeichnet den Vorgang als die Suche nach emotionalem Gold. Jeder der Schüler soll eine art mentaler Schatzkiste ansammeln, die die Gefühle enthält, die sonst so tief vergraben sind. Der erste Teil des Kurses bestand deshalb aus Übungen, die uns mit lange vergessnen oder verdrängten Dingen konfrontieren sollten. Während dieser Zeit haben mich zwei Dinge immer wieder beeindruckt; was für ein Facettenreichtum und eine Intensität und Schönheit wir alle mit uns tragen und ihr kaum gewahr sind, und die großartige Gratwanderung der Lehrerin, uns einzeln und in Gegenwart der anderen Schüler an unser innerstes heranzuführen ohne uns jemals zu verletzen, als wir so verwundbar waren, oder uns vor den anderen in irgendeiner weise bloßzustellen. Sie betont immer wieder: "Das hier ist nur für euch. Spielt nicht. Spielt nicht für das Publikum. Seid ehrlich. Das ist nur für euch. Seid bitte ehrlich zu euch selbst." Warum sollen wir nicht spielen? "Weil es nicht ehrlich ist. Weil das Publikum ins Theater kommt, um emotional berührt zu werden. Spielt die Umgebung, die Gegebenheiten, aber nie die Gefühle. Die müssen ehrlich sein. Das ist der Sinn dieser Übung: Ihr sollt einen Zugang zu euren Gefühlen bekommen. Wenn ihr auf der Bühne steht und von der Muse geküsst seid, braucht ihr keine Methode. Aber wenn das nicht der Fall ist, ist es das schlimmste, in Imitation zu verfallen. In solchen Momenten müsst ihr in der Lage sein, eure Gefühle hervorzulocken."

Soviel zur Einleitung.

Weiter geht es mit Teil 2 des Briefes auf der nächsten Seite...

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